Problematische Selbstdiagnosen aus dem Netz

NKB - Niels Stensen Kliniken Bramsche

Leitende Psychologin der Niels-Stensen-Kliniken Bramsche sieht solche Angebote kritisch

Immer häufiger finden sich im Internet Videos mit vermeintlichen Hilfestellungen zu einer Selbstdiagnose bei psychischen Erkrankungen. Jessica Capelle, Leitende Psychologin der Niels-Stensen-Kliniken Bramsche, sieht solche Angebote kritisch, wenn sie „über die Aufklärung und den Aufruf zum Aufsuchen professioneller Hilfe hinausgehen“.

So komme es vor, dass Influencer in Videos wenige, häufig allgemein verfasste Fragen stellten und bei einer bestimmten Mindestanzahl „Ja-Antworten“, die Diagnose erfolge, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. „Diese Selbstdiagnosen sind problematisch, insbesondere weil sie dazu führen können, dass ich mich plötzlich mit einer Krankheit identifiziere, die ich gar nicht habe und alle meine Schwierigkeiten in diesen Rahmen einordne“, sagt Jessica Capelle: „Außerdem führt das paradoxerweise zu einer Verharmlosung von psychischen Erkrankungen: Wenn ich, nur weil ich meine Haustür zweimal kontrolliere, plötzlich eine vermeintliche Zwangsstörung habe, wird das den Menschen, die wirklich unter eine Zwangsstörung leiden, nicht gerecht und verharmlost ihre Erkrankung.“ Eine Diagnose zu stellen, bedürfe weit mehr als nur der Beantwortung einiger Fragen. „Im psychotherapeutischen Alltag nutzen wir dazu zum Beispiel diagnostische Testungen, Verhaltensbeobachtungen, die klinische Einschätzung von Experten und auch eine körperliche Abklärung durch einen Arzt“, so die Leitende Psychologin.

Es gebe allerdings auch hilfreiche Selbsttests (zum Beispiel auf der Internetseite der Deutschen Depressionshilfe), über die im Anschluss eine Empfehlung gegeben werde, „ob ich mir weitergehende und professionelle Hilfe suchen sollte“. Gleichzeitig seien diese Testungen nur Hinweisgeber, betont Jessica Capelle: „Wenn es mir psychisch über einen längeren Zeitraum nicht gut geht, sollte ich – unabhängig von dem Testergebnis – professionelle Hilfe aufsuchen.“

Sie warnt zudem vor unsicheren Quellen im Netz. Bei TikTok und Instagram könne jeder Videos hochladen. Influencer hätten das Ziel, viele Follower zu gewinnen. Da stehe nicht immer das Interesse der Aufklärung an erster Stelle. „Ich habe mittlerweile auch mehrere Videos gesehen, in denen Influencer Produkte anpreisen, die sie zum Beispiel aus der vermeintlichen Depression geholt haben. Als Betroffene kaufe ich dann vielleicht schnell dieses oder jenes Nahrungsergänzungsmittel, diese oder jene Duftkerze oder Yogamatte. Bei einem Stimmungstief hilft eine schöne Kerze und ein gutes Buch vielleicht, eine Depression ist aber nicht über diese Produkte behandelbar, sondern sollte in einer Psychotherapie professionell behandelt werden.“

Ein weiterer Gefahrenpunkt seien die Algorithmen bei Social Media. Die seien so angelegt, dass Gewohnheiten der Nutzer erkannt und befeuert würden: „Wenn ich mir über einen längeren Zeitraum Tierbabys angeschaut habe, wird Instagram oder TikTok immer wieder Tierbabyvideos für mich hochspülen. Das Gleiche passiert auch bei Videos zu psychischen Erkrankungen. Hierbei kann es aber passieren, dass mir immer wieder Videos angezeigt werden, die mich als psychisch erkrankte Person stark triggern.“ Auch gebe es durchaus problematische Videos zu zum Beispiel Essstörungen, in denen Schlank sein um jeden Preis als etwas Positives dargestellt werde. Das habe den Effekt, dass sich Betroffene nicht in Behandlung begäben, sondern gegenteilig in der Krankheit blieben.

Gleichzeitig sei zu erwähnen, so Jessica Capelle, dass eine „zunehmende Aufklärung und eine damit einhergehende Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen durch verantwortungsvoll gestaltete Beiträge und Videos in sozialen Medien durchaus positiv sind“. Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen wachse, erläutert die Leitende Psychologin: „Scham- und Schuldgefühle, die häufig begleitend zu einer psychischen Erkrankung auftreten, können abgebaut werden und Betroffene merken, dass sie nicht alleine sind.“

Mögliche erste analoge und digitale Anlaufstellen bei Verdacht auf eine psychische Erkrankung:

Hausarzt und Psychosoziale Beratungsstellen durch zum Beispiel Träger der Stadt oder kirchliche Träger.

Die Telefonseelsorge bietet anonyme und kostenlose Beratung per Telefon (0800 / 111 0 111 , 0800 / 111 0 222 oder 116 123), aber auch per Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat ein Info-Telefon Depression unter der Nummer 0800 3344533 eingerichtet (erreichbar Montag, Dienstag und Donnerstag 13–17 Uhr sowie Mittwoch und Freitag 8.30–12.30 Uhr). Über die Website wird auch ein Online-Forum Depression angeboten.

Speziell für Kinder und Jugendliche wurde die Nummer gegen Kummer eingerichtet. Unter 116 111 beraten die Mitarbeiter betroffene Heranwachsende anonym und kostenlos – immer montags bis samstags 14–20 Uhr.

Der Sozialpsychiatrische Dienst bietet kostenlose Beratung und Hilfe für erwachsene Menschen mit seelischen Problemen, psychischen Erkrankungen, in akuten Krisensituationen, bei Suizidgedanken, Suchtproblemen, altersbedingten seelischen Störungen und geistigen Behinderungen an, auch für Angehörige und das soziale Umfeld.

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