13.06.2016: Die Pflege - Pioniere

Demografischer Wandel, medizinischtechnischer Fortschritt und Fachkräftemangel: Die Gesundheitsfachberufe müssen enorme gesellschaftliche und fachliche Veränderungen bewältigen. Der Studiengang Pflege dual begegnet dieser Aufgabe und verabschiedete im Herbst die erste Kohorte akademisch ausgebildeter Pflegefachkräfte.

Berufsprofil mit vertieften klinischen Kompetenzen
„Pflege ist Therapie", sagt selbstbewusst Professorin Dr. Stefanie Seeling. Seeling ist Beauftragte für den Studiengang Pflege dual auf dem Campus der Fakultät Management, Kultur und Technik in Lingen, der dort vom Institut für Duale Studiengänge angeboten wird. „Immerhin", so die Pflegewissenschaftlerin weiter, „bleiben gerade ältere Menschen länger gesund, wenn ihre Betreuung von akademisch gebildeten Fachkräften begleitet wird." Das sei das Ergebnis vieler Studien und bestärke die Zielsetzung des Studiengangs, die Qualität der Versorgungsprozesse und -strukturen zu erhöhen. „Es wird immer noch die Meinung verbreitet, Pflege hätte eine untergeordnete Funktion. Das stimmt nicht. Pflege ist eine Profession, die auf Augenhöhe mit den anderen medizinischen und gesundheitlichen Disziplinen agieren sollte." „Das angestrebte Berufsprofil umfasst ganz klar vertiefte klinische Kompetenzen, es geht um die patientennahe Pflege in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens", betont Professor Dr. Martin Moers. Moers verantwortet das Studienangebot Pflege dual an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Osnabrück. „Wir lehren aber auch die Steuerung komplexer pflegetherapeutischer Prozesse, dazu gehören sämtliche Kommunikations- und Kooperationsaufgaben".

Großer Umbruch im Gesundheitssystem
Primary Nurse, die Pflegeberatung von Assistenzkräften oder Angehörigen, das Entwickeln neuer pflegetherapeutischer Methoden wie zum Beispiel das „Kangarooing", die Familiengesundheitspflege, die Prävention von Pflegebedürftigkeit, Interkulturelle Pflege, Selbstständigkeit in der Pflegeberatung, School Nurse, Mobile Praxen oder die Übernahme von heilkundlichen Aufgaben: die Liste denkbarer Tätigkeitsbereiche für akademisierte Pflegefachkräfte könnte Werner Koop noch weiter fortsetzen. Für den Schulleiter der verbundleitenden Berufsfachschule am Krankenhaus Ludmillenstift in Meppen zeichnet sich ein „großer Umbruch im Gesundheitssystem" ab. „Nur mit mehr hochqualifiziertem Personal, das vor allem eigenverantwortlich und reflektiert interdisziplinäre Teams anleiten kann, ist ein hohes Pflegeniveau auch in Zukunft in Zeiten des Personalmangels zu gewährleisten." Dass sich für einen Patienten mit der Diagnose Alzheimer aus medizinischer Sicht wenig ändere, heiße schließlich, dass Pflegekräfte, Ergo- und Physiotherapeuten für diesen Patienten eine viel größere Rolle spielten als der Arzt. „Wie muss die Pflege dem Krankheitsverlauf angepasst werden? Ist eine Prophylaxe gegen Wundliegen erforderlich?", konkretisiert Koop das Verschieben und Vermehren der Aufgaben. „Unsere Absolventen sind in der Lage, das zu beurteilen", weiß Seeling. Im achten Semester stehen Multiperspektivische Fallanalysen und damit der Theorie-Praxis-Transfer im Vordergrund des Studiums.

Birte Hackmann

Studentin Pflege dual im 4. Semester „Ich studiere Pflege dual, weil ich einen Beruf möchte, in dem ich Theorie und Praxis verbinden kann. Ich habe Abitur gemacht, bin aber auch ein AnpackerTyp und möchte mich bei der Arbeit körperlich betätigen. Der Kontakt zu Menschen ist mir wichtig. Den praktischen Teil leiste ich im Marienhospital in Osnabrück. Die erste Station war die Onkologie. Da habe ich gemerkt, hier liegen meine Stärken und Interessen."

Prof. Dr. Martin Moers

Professor für Pflegewissenschaft, Osnabrück

„Der Studiengang Pflege dual ist ein Musterbeispiel für die regionale Verankerung der Hochschule. Wir kooperieren in Osnabrück und Lingen mit rund 30 Partnern, darunter jeweils zwei verbundleitende Fachschulen. Unterricht und Lehre erfolgen wechselseitig und fußen auf einem gemeinsamen, integrierten Curriculum, das eindeutig auf die Praxiskompetenz ausgerichtet ist."

Ulrich Barlag

Schulleiter Bildungszentrum St. Hildegard, Osnabrück

„Als Auszubildende und Studierende zugleich, verzahnen die PflegeBachelors fachliche Kompetenz und wissenschaftliche Expertise. Das prädestiniert sie für komplexere und umfangreichere Aufgaben. Prozesse gestalten, bewerten, koordinieren und kommunizieren, das sind im Grunde die Schlüsselqualifikationen die sie mitbringen, um die Qualität der Pflege zu gewährleisten."

Marcel Wachtel

Student Pflege dual im 8. Semester, Lingen

„Pflege dual ist ein Studium für die Arbeit am Bett. Nach dem Abschluss werde ich in der HedonKlinik in Lingen arbeiten. Anfangs in der Pflege, später mit einer teilzeitigen Stabsstelle, um zum Beispiel Pflege Konzepte zu entwickeln und Standards zu implementieren. Mein Studienhighlight war das Auslandssemester in Hongkong. Das gleiche Setting, aber komplett andere Umstände, haben meinen Blick auf den Einzelnen verändert."

Werner Koop

Schulleiter Verbundleitende Fachschule Ludmillenstift, Meppen

„Die Pflege steht vor der Herausforderung, sich den Veränderungen anzupassen und die Qualität der Patientenversorgung zu gewährleisten. Der zunehmende Personalmix erfordert neue Qualifikationsbedarfe. Wir benötigen akademisches Personal unter anderem für die Steuerung multiprofessioneller Teams. Ich wünsche mir für die Zukunft ein durchlässiges Ausbildungssystem, von der einjährigen Ausbildung bis zum Masterabschluss."

Prof. Dr. Stefanie Seeling

Professorin für Pflegewissenschaft, Lingen
„Pflege dual qualifiziert für patientennahe Pro zesse und ist generalistisch angelegt. Die Studieren den analysieren Pflegesituationen aus der Praxis unter Einbezug von wissenschaftlichen Studienergebnissen und pflegewissenschaftlichen Theorien. In Lingen kooperieren wir mit dem Institut für Theaterpädagogik. Im RollenCoaching lernen die Studierenden, wie sie Pflegeberatung im Beruf durchführen und mit dem Pflegeempfänger individuell interagieren können."

„Wir diskutieren über den Umgang mit Traumata unklarer Genese genauso wie über onkologische Patienten und Rollenfindung." Hinter den Auszubildenden, die zugleich Studierende sind, liegen dann bereits sieben Semester, die sie in der Praxiseinrichtung, in der Fachschule und an der Hochschule verbracht haben. Das Lernen an den drei Standorten ist in Wochenblöcken organisiert, praktischer und theoretischer Ausbildungsplan sind genau aufeinander abgestimmt. „Das mit den Kooperationspartnern gemeinsam entwickelte, integrierte Curriculum ist unsere Stärke. Lehre, Unterricht und Praxis gehören zusammen", ist Moers überzeugt. Bereits ab dem zweiten Semester transferieren die Studierenden Aufgaben von der Hochschule in die Praxis und erschließen sich so neue Praxisfelder. Module wie „Pflege als Profession", „Lebensverhältnisse gestalten", oder „Systematisierung der Pflegepraxis" begleiten die Studierenden während der ersten vier Semester durch den Berufsalltag der koope-rierenden Einrichtungen. Mit Modulen wie „Grundlagen des Pflege-und Gesundheitsrechts", „Projektentwicklung in der Pflege praxis" oder „Familienorientierte Pflege" geht es ab dem fünften Semester für die Studierenden um gezielte Kompetenzentwicklung auf wissenschaftlichem Niveau. „Dieses wissenschaftliche, evidenzbasierte Arbeiten hat meinen Blick auf den Patienten und seine Pflege verändert. Ich merke es, wenn Standards nicht gut umgesetzt werden, wenn Konzepte nicht greifen", formuliert es Marcel Wachtel, Student im achten Semester. Ein Highlight für viele Studierenden stellt zweifellos das zehnwöchige Praxisprojekt im sechsten Semester dar. Rund die Hälfte eines Jahrgangs verbringt diese Zeit in einer Kranken- oder Pflegeeinrichtung im Ausland. So arbeitete eine Studentin in Israel in einer Altenpflegeeinrichtung für Holocaustopfer. Auch Birte Hackmann, Studentin im vierten Semester, hat konkrete Pläne. „Ich möchte nach Finnland und sehen, wie sie dort, in einem so dünn besiedelten Land, die ambulante Pflege organisieren." Wer hier bleiben möchte, erhält Einblicke zum Beispiel in die Arbeit des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen oder hospitiert in besonderen Bereichen der Pflege, wie dem Kinderhospiz. Nach vier Jahren Ausbildung und Studium steht ein doppelter Abschluss: der Bachelor und das staatliche Examen in der Pflege. „Ja, ein duales Studium, das ist schon auch stressig", räumt Hackmann ein. „Ich fühle mich aber an allen drei Ausbildungsorten ausgesprochen gut aufgehoben."

Hochschule, Fachschule, Praxiseinrichtungen
„Es ist tatsächlich die Verzahnung der drei Säulen Hochschule, Fachschule und Praxiseinrichtung, die den Studierenden zwar viel abverlangt, zugleich aber zu einer einmaligen Kombination von fachlicher Kompetenz und wissenschaftlicher Expertise führt", glaubt Ulrich Barlag, Schulleiter der verbundleitenden Fachschule St. Hildegard in Osnabrück. „Gerade ihre kommunikative Kompetenz stimmt mich sehr optimistisch, dass die Pflege künftig anders wahrgenommen wird." Die sehr gute Qualität des Studiengangs belegt das hervorragende Abschneiden im CHE-Ranking im vergangenen Herbst. Das Studienangebot zählt in allen drei Beurteilungskriterien – „Bezug zur Berufspraxis", „Lehrangebot" und „Studiensituation insgesamt" – zur Spitzengruppe. „,Ich verändere jetzt alles‘, mit dieser Haltung sollte man nicht in die Berufstätigkeit starten", reflektiert Stefanie Wimberg. Sie gehört zur ersten Kohorte und arbeitet jetzt in der Kinder- und Jugendrehabilitation auf Norderney. Berufserfahrung sammeln, sich in Abläufe ein finden, das sei erstmal wichtig. Etwas theoretisch zu begründen, eventuell nachzuschlagen, das falle ihr leicht. „Es braucht aber viel Fingerspitzengefühl, eingefahrene Abläufe zu verändern, gerade wenn man neu ist. Ich freue mich, wenn ich etwas anstoßen kann." >> id

Kontakt

Prof. Dr. Martin Moers Tel.: 0541 969-2004 E-Mail: m.moers@remove-this.hs-osnabrueck.de
Prof. Dr. Stefanie Seeling Tel.: 0591 80098-720 E-Mail: s.seeling@remove-this.hs-osnabrueck.de

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