09.11.2012:Drei Wochen ehrenamtliche Arbeit in Sierra Leone!
Mich für ein medizinisches Projekt in Afrika engagieren, das wollte ich schon lange. In diesem Sommer wurde der Wunsch endlich wahr. Ich arbeite im Klinikum Oldenburg als Auszubildende zur OTA. Das Klinikum unterstützt zusammen mit vier anderen Oldenburger Krankenhäusern seit Langem eine Klinik in Sierra Leone, in der Stadt Bo. Das Projekt heißt „5 Paten für Bo“ und gehört zu der privaten, vor allem in Oldenburg ansässigen Organisation „Hilfe Direkt“. Während meiner Arbeit im Klinikum Oldenburg habe ich viel davon gehört und mich schließlich bei der Organisationsleiterin gemeldet. Dank ihres Engagements konnte ich in diesem Jahr tatsächlich in die Klinik nach Bo reisen.
Sierra Leone liegt an der afrikanischen Westküste und ist mit mehr als 70.000 km² etwa so groß wie Bayern. Im Land wohnen etwa fünf Millionen Menschen. Die Sprachen der Einheimischen sind Mende und Krio. Die Amts- und Regierungssprache ist Englisch. Die Klinik in Bo (Siehe Bild 1) hat eine Fläche von circa 900 Quadratmetern. Sie wird dringend benötigt, weil die medizinische Versorgung im Land unzureichend ist. Das Arzt-Einwohner Verhältnis beträgt vor Ort etwa 1:30.000. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 43 Jahren. Ein Viertel der Kinder wird nicht einmal fünf Jahre alt, und zwei von 100 Frauen sterben während der Schwangerschaft oder Geburt.
Abflug nach Sierra Leone
Am 8. Juli 2012 um 6Uhr morgens war es endlich soweit: Mein Flieger ging nach Sierra Leone!
In Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone, angekommen, blies mir eine feuchtwarme Luft entgegen. Ich schwitzte furchtbar und musste mich als erstes durch das Zoll-Chaos drängen.
Als ich diese Hürde hinter mir gelassen hatte, erwartete mich schon Musa Bainda, der Direktor der Klinik in Bo. Ich war beeindruckt, wie herzlich ich empfangen wurde.
Nach fast 15 Stunden Flug stand zunächst noch eine fünfstündige Autofahrt in die Stadt Bo an. Die Straßenverhältnisse sind so schlecht in Sierra Leone, dass man zu jeder Stadt, die man anfahren will, mit mindestens fünf Stunden Autofahrt rechnen muss. Die Straßen haben zahlreiche Schlaglöcher und während der Regenzeit im Sommer, kann es dann auch mal passieren, dass man, wie wir, im Schlamm stecken bleibt. Diese Autofahrt war also ziemlich abenteuerlich!
Der Alltag in der Klinik
Am nächsten Morgen lernte ich gleich alle Krankenschwestern in der Klinik kennen, und ich wurde mit Gesängen und Tänzen begrüßt.
Der Alltag beginnt in der Klinik immer mit einem Gebet, Gesang und Tänzen. Danach folgt das „Meeting“ im Büro des Klinikdirektors. In dem Meeting wird der vorherige Tag reflektiert: Wie groß war der Patientendurchlauf? Reichten die Medikamente? Was müsste verbessert werden? Wie groß waren die finanziellen Einnahmen?
Die Klinik an sich ist für den afrikanischen Standard sehr gut ausgestattet. Fast alle medizinischen Materialien kommen aus Deutschland. Somit waren mir die meisten Materialien bekannt.
Nach dem Meeting gingen Merryl, Kaddy (zwei Krankenschwestern) und ich täglich in den Untersuchungsraum und behandelten die Patienten. Die ärztliche Versorgung in der Klinik ist noch mangelhaft. Ziel ist es aber, einen einheimischen Arzt fest anzustellen. Solange dies jedoch nicht geht, ist die Klinik auf ärztliche Hilfe aus Deutschland angewiesen. Viele Ärzte leisten in ihrer Freizeit dazu ihren Beitrag. Solange kein Arzt in der Klinik ist, übernimmt Merryl dessen Position. Merryl gehört zu den „CHOs“ (Community Health Officer). Sie werden vom Staat organisiert und haben einen Ärztestatus jedoch keine Approbation.
Somit habe ich mit Merryl zusammen meistens an Malaria erkrankte Patienten behandelt. Wir haben ihnen Infusionen gegeben und die Patienten ins Überwachungszimmer gelegt. Da ich einen großen Koffer deutscher Medikamente mitgebracht hatte, konnten wir auch viele Antibiotika verabreichen, vor allem bei kleinen Kindern mit sehr hohem Fieber.
Als ein privates Projekt, das nicht von der Regierung in Sierra Leone abhängig ist, ist „Hilfe direkt“ ein sogenanntes „Non-Government“-Projekt. In der Klinik müssen die Patienten deshalb auch ein wenig Geld bezahlen, damit das Projekt weitere Materialien beschaffen kann. Sogar ein funktionierender OP-Saal ist für die nähere Zukunft geplant. Da die Bevölkerung sehr arm ist (Sierra Leone gehört zu den ärmsten Ländern der Welt), können nicht alle Patienten ihren finanziellen Beitrag leisten. Dennoch haben wir auch diese Patienten behandelt, was wiederum zeigt, wie sehr die Klinik auf finanzielle Hilfe aus Deutschland angewiesen ist.
Da die Gästewohnung direkt über dem Krankenhaus liegt, konnte ich zwischendurch etwas essen und mich von dem aufregenden Tag ein wenig erholen. Gerade in der Anfangszeit musste ich mich an die schlimme Lebenssituation der Einwohner gewöhnen. Das fiel mir ziemlich schwer, da man bei uns in Deutschland so viel Armut und Krankheit nicht gewohnt ist.
Ich war froh, dass ich Merryl an meiner Seite hatte, denn die Menschen in Sierra Leone haben hohe Erwartungen an einen weißen Menschen, vor allem in medizinischer Hinsicht. Das war sehr gewöhnungsbedürftig für mich, da man hier in Deutschland als Auszubildende dann doch nicht so viel Verantwortung trägt wie vor Ort in Sierra Leone. Ich musste zusammen mit Merryl zum Beispiel entscheiden, ob wir gewisse Patienten in ein anderes Krankenhaus, wo es einen OP gibt, verlegen oder ob wir den Patienten in unserer Klinik gemeinsam behandeln. Das waren Entscheidungen, die ich hier in Deutschland nicht treffen müsste.
Zwei Tage OP-Erfahrungen in Bo
Da ich hauptsächlich ambulante, nicht chirurgische Versorgungen in der Klinik durchgeführt habe und eigentlich in Deutschland im OP tätig bin, habe ich die Chance ergriffen bei einem afrikanischen Chirurgen, der in Deutschland gelernt hat, zwei Tage mit zu operieren. Dieser Chirurg hat eine private Klinik in Bo aufgebaut, nachdem er in Deutschland in Rente gegangen war. Er operiert täglich 12 bis 15 Patienten. Hauptsächlich kommen die Patienten mit stark ausgeprägten Hernien, Appendizitis oder bei Frauen mit starken Unterleibsbeschwerden. So hatte ich die Chance, ein ganzes Wochenende bei ihm im OP zu assistieren und auch zu instrumentieren. Ich war begeistert, wie die Schwestern mit nur zehn Instrumenten eine Hysterektomie durchgeführt haben, die wir hier in Deutschland mit mindestens zwei Instrumentensieben, sprich circa 50 Instrumenten durchführen.
Der Chirurg hat jeden Patienten mit einer Spinalanästhesie operiert, denn es ist Luxus in Sierra Leone mit zwei Ärzten den OP-Saal zu betreten. So hat ein Anästhesiepfleger die Überwachung übernommen und der Chirurg hat mit Hilfe der OP-Schwester operiert.
Hospitationstag bei „Ärzte ohne Grenzen“
Im Referenzzentrum Gondama, ein Ort in der Nähe von Bo, bietet „Ärzte ohne Grenzen“ geburtshilfliche und pädiatrische Fachmedizin an. Dort werden schwer mangelernährte Kinder und viele Malariafälle behandelt. Ich hatte die Chance, das Krankenhaus in Gondama für einen Tag zu besichtigen. Eine italienische Krankenschwester berichtete mir, dass jeden Tag mindestens acht Kinder entweder an Malaria oder aufgrund von Mangelernährung sterben. Ich war schockiert, als ich in der Klinik in einem großen Raum mindestens zehn unterernährte Kinder sah. Begeistert war ich von der Arbeit, die die Ärzte und Krankenschwestern dort geleistet haben und vor allem davon, wie gut die einheimischen Krankenschwestern mit den Ärzten zusammengearbeitet haben.
Prägende Erfahrungen
Insgesamt empfand ich meine Zeit in Sierra Leone als eine sehr prägende Erfahrung. Auch wenn es „nur“ drei Wochen waren, konnte ich viel Verantwortung übernehmen und meine Kenntnisse gut einbringen. Zwar bin ich bei so viel Leid und Armut auch oft an meine Grenzen geraten, aber auf der anderen Seite auch ein Stück weit reifer geworden. Nach diesen Eindrücken erscheint mir unser hoher medizinischer Standard bisweilen fragwürdig, da wir teilweise überversorgt zu sein scheinen, während in vielen Entwicklungsländern, wie zum Beispiel in Sierra Leone, kaum eine ausreichende medizinische Versorgung haben. Haben wir nicht auch eine Verantwortung für diese Menschen? Müssen wir nicht bei unserem Wohlstand mehr für die ärztliche Versorgung der Menschen in diesen Ländern tun?
Maria-Isabel Förster