Osnabrück. Ein Buch lesen oder Rechenaufgaben lösen während einer Operation? Das ist für bestimmte Patienten, die im Marienhospital Osnabrück (MHO) der Niels-Stensen-Kliniken bei vollem Bewusstsein am offenen Gehirn operiert werden, nicht eine neue Form des Zeitvertreibs, sondern Teil einer aufwändigen OP-Methode, die der Patientensicherheit dient und regionsweit erstmals hier realisiert wurde. „Wir können nun Patienten sicherer operieren, die zum Beispiel an einem Hirntumor im Sprachzentrum leiden“, sagt Prof. Dr. Christoph Greiner, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie, der ein interdisziplinäres Spezialteam für das zukunftsweisende OP-Verfahren zusammengestellt hat. Dieses wurde rund ein Jahr an verschiedensten Universitätskliniken geschult, um auf die anstehenden Wachoperationen vorbereitet zu sein. Eine nun mit dem neuen Verfahren operierte 40-jährige Patientin litt aufgrund eines links im Großhirn gelegenen Tumors an Wortfindungsstörungen. „Sie wusste, was sie sagen wollte, fand aber die passenden Worte nicht. Dies ist eine furchtbare Erkenntnis für die Patienten, die sich ihrer Situation bewusst sind “, erläutert der Chefarzt. Oberarzt Dr. Ali Akcocuk, der für das Monitoring verantwortlich ist, hatte alle Lese- und Rechenaufgaben am Tag vor dem Eingriff mit der Patientin ausprobiert um sicherzugehen, dass die Aufgaben auch von ihr verstanden werden. Bei der OP wurde zunächst die Hirnschwellung medikamentös reduziert, so dass die Patientin in der Lage war, besser zu sprechen. Ziel der Operation war es, dauerhaft den Druck vom Sprachzentrum zu nehmen. Dazu wurde die Patientin nach der Kopferöffnung durch das Narkoseteam schonend aufgeweckt, um dann während der OP zu lesen und zu rechnen oder Bilder zu beschreiben. Wenn sie dabei zu stottern begann oder sich neue Wortfindungsstörungen einstellten, wusste Prof. Dr. Greiner, dass er einen sensiblen Bereich berührte und konnte die Strategie der Tumorentfernung entsprechend modifizieren. Mittels einer Sonde (Hochfrequenzstimulation) wurde der zu entfernende Bereich stimuliert. Traten während der Stimulation Sprachveränderungen auf, verbot sich das Entfernen dieses hochsensiblen Bereichs. „Auf diese Weise können wir millimetergenau ertasten, wo Tumorschichten abgetragen werden können“, so Prof. Dr. Greiner, der in dem neuen Verfahren einen weiteren Meilenstein der nun zehnjährigen Entwicklung der Klinik sieht, die im Rahmen einer Feierstunde und eines wissenschaftlichen Symposiums ihren runden Geburtstag feiert. 2006 startete die Klinik mit drei Mitarbeitern und begann zunächst mit der Behandlung von schädel-hirnverletzten Patienten und von Bandscheibenvorfällen. Als zukunftsweisende Schritte sind 2012 die endoskopische Chirurgie der Hirnanhangsdrüse und die Hirnendoskopie bei Kindern hinzugekommen. Seit 2013 werden Bandscheibenprothesen auch durch den Bauchraum eingesetzt. Als „Schlüssel des Erfolgs“ bezeichnet der Chefarzt das ebenso kompetente wie engagierte Team der Neurochirurgie. Jeder der zehn neurochirurgischen Ärzte habe Spezialgebiete, die von ihnen eigenständig betreut und ständig weiterentwickelt würden.
Rätsel lösen bei OP am offenen Gehirn
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